Eine Autopanne in der Wildnis der Baja California
Viele Sehenswürdigkeiten in der Baja California sind nur über extrem schlechte Pisten erreichbar. Wir fahren trotz renommiertem Autoverleihers einen Mietwagen, bei dem die Reifen schon ziemlich abgefahren sind. Leider haben wir das nach 20 Stunden Anreise mitten in der Nacht bei einsetzendem Regen einfach nicht mehr bemerkt. Da ist es dann natürlich nicht auszuschließen, dass man vielleicht irgendwann ein Problem mit dem Auto bekommt. 2001 war es noch fast unmöglich, mit einem amerikanischem Mietauto nach Mexiko zu fahren. Soweit wir wissen, ist das mittlerweile ist auch bei mehreren renommierten Anbietern möglich.
Mit dem Mietauto auf einer unerlaubten Piste
Wir haben das Glück, dieses Problem auf einer Piste zu bekommen und nicht auf einer Schnellstraße. Bei 80-120 km/h (50-75 mph) wären wir wahrscheinlich nicht so glimpflich davon gekommen und könnten vielleicht auch nichts mehr über dieses Abenteuer berichten. Auf dieser Strecke hätten wir mit einem Mietauto eigentlich gar nicht fahren dürfen. Aber in der Baja California sind die Straßen allgemein sehr schlecht. Und so können Autovermieter ihren Kunden oft nur schwer nachweisen, dass ein Unfall auf einer unerlaubten Piste passiert ist. Vorausgesetzt, man kommt aus dem Schlammassel ohne Abschleppdienst raus. Uns hat der Autovermieter jedenfalls geglaubt, dass es bei San Ignacio passiert ist und nicht auf der Horrorpiste zur Laguna Laguna San Ignacio.
Die Piste zur Laguna San Ignacio wurde die übrigens einige Tage später instand gesetzt und dürfte vieles von ihrem Schrecken verloren haben. Vielleicht hatte der Chef unseres Autovermieters auch einfach ein schlechtes Gewissen. Dass hätte ich auch, wenn ich jemandem in einem Land mit so schlechten Straßen ein Auto mit so schlechten Reifen angedreht - pardon - vermietet hätte. Und dann auch noch einen Ersatzreifen mitgeliefert hätte, der nicht genügend Luft hat. Egal, wir sind heil aus der Sache raus gekommen. Und meine Spanischkenntnisse haben sich auch mal wieder gelohnt. Die haben nicht nur dem Autovermieter imponiert, sondern auch unseren unfreiwilligen Aufenthalt in der mexikanischen Einöde etwas verkürzt. Aber nun alles schön der Reihe nach.
Chronologie einer Autopanne in der Baja California
Teil I - Wir haben einen platten Reifen
59,5 km (37 Meilen) Piste liegen vor uns. Zwei Stunden soll das ganze dauern. Wenn alles glatt geht. Anfangs sieht die Strecke noch ganz manierlich aus und wir zweifeln an den Zeitangaben. Sehr bald wird uns klar, dass die zwei Stunden für die knapp 60 km (37 Meilen) durchaus realistisch sind. Der Zustand der Piste stellt höchste Ansprüche an den Fahrer – und zunehmend auch an die Beifahrerin. Natürlich kommt irgendwann der Satz vom Fahrer: „Wo hast du mich da bloß wieder reingehetzt?“
Wenn Sie wissen wollen, ob die Beziehung zu Ihrem Lebenspartner bzw. Ihrer Lebenspartnerin intakt ist: Fahren Sie eine Piste in der Baja California. Am besten unter Zeitdruck, weil Sie sich gerade auf eine Whale Watching Tour eingebucht haben. Wenn Sie bei der Ankunft noch - oder wieder - miteinander reden, ist Ihre Beziehung intakt. Wenn nicht, helfen Ihnen die freundlichen Wale der Baja California sicher über Ihren Ärger hinweg.
Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Irgendwann ist es dann natürlich passiert: Wir haben einen platten Reifen. Manfred hat bereits vorher immer wieder angehalten und besorgt nach dem Zustand unserer Reifen gesehen, der ohnehin nicht der beste ist. Selber schuld. Wir hätten das Auto eben trotz Dunkelheit und 20-stündiger Anreise gründlich ansehen sollen. In den USA haben wir mit diesem Autovermieter immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Das sollte sich bei unserem Abenteuer-Trip im Juni 2010 ändern.
Außerdem sind wir nicht mehr in den USA: Das ist uns mittlerweile schon sehr deutlich bewusst geworden. Aber was soll’s. Wir haben ja einen Reservereifen dabei! Während Manfred den Reifen wechselt, mache ich ein paar Fotos von den umstehenden Kakteen. Landschaftlich ist hier nicht so viel geboten, so was passiert nie an besonders spektakulären Stellen. Als ich wieder zurück komme, ist der neue Reifen oben – und genau so platt wie der alte. Pech.
Teil II - Das Warten beginnt
Nun bleibt uns nichts anderes übrig, als unter der sengenden mexikanischen Mittagssonne auf Hilfe zu warten. Zum Glück wissen wir, dass noch ein LKW unterwegs ist, den wir überholt haben. Irgendwann muss der ja kommen. Der LKW kommt. Zum Glück spreche ich Spanisch, denn erwartungsgemäß versteht der Fahrer kein Englisch. Wozu auch Wer Trinkwasser durch die Gegend fährt, hat nur selten mit Touristen zu tun. Der Sohn des Mannes erkundet neugierig unser Auto von allen Seiten Ich verhandle mit seinem Vater, ob er uns oder wenigstens einen von uns - sprich mich - mit in den nächsten Ort nehmen könnte. Einen Ersatzreifen oder eine Luftpumpe hat er natürlich nicht dabei. Ich weiß nicht, wie oft er mich fragt, ob wir nicht noch einen anderen Reifen hätten. Wir haben einfach keinen.
Mexikaner sind zwar sehr stille Menschen, aber in der Regel recht hilfsbereit. Der freundliche LKW-Fahrer versichert uns glaubwürdig, dass der Wagen nicht ihm gehört und er Trinkwasser transportiert. Er darf mich einfach nicht mitnehmen. Aber er könnte im Ort Hilfe organisieren und jemanden mit einem neuen Reifen vorbeischicken. Bei dem Reisetempo dauert das ewig! Er drückt mir noch die Hand. Der Junge wirft einen letzten Blick in unser Auto. Dann wir sehen die beiden nur noch in einer Staubwolke verschwinden.
Teil III - Das Warten geht weiter
Das Warten geht weiter, ziemlich lange sogar. Als nächstes kommen einige Kalifornier, die auch nicht helfen können. Auch das nächste Auto kommt aus Kalifornien. Der Fahrer hat offensichtlich noch weniger Ahnung von Autos als ich. Mit kalifornisch-sonnigem Gemüt meint er, wenn wir langsam fahren würden, kämen wir locker ans Ziel. 8 Meilen - also 15 km. Mit 15 km/h (8 mph) wären wir in einer Stunde da. Neben diesem coolen Ratschlag bietet er uns auch noch ein cooles Bier an. Vielen Dank! Aber bei der Hitze sollten wir vielleicht doch lieber beim Trinkwasser aus dem Supermarkt bleiben.
Teil IV- Die Rettung naht
Schließlich kommt ein typisch mexikanisches Auto aus der Gegenrichtung. Ein typisch mexikanisches Auto ist ein Pickup mit einigen Leuten hinten drauf. An den fröhlichen Gesichtern der Insassen bzw. Aufsassen können wir schon von weitem erkennen, dass sie erkannt haben, dass hier ein paar Gringos gestrandet sind. Die Frauen und Mädchen springen sofort von der Ladefläche und nützen die Pause für etwas Auslauf. Im Nu sind alle hinter irgendwelchen Kakteen verschwunden.
Die Herren der Schöpfung zünden sich zunächst eine Zigarette an. Nach einem prüfenden Blick auf unseren Reifen folgt die obligatorische Frage, ob wir nicht noch einen anderen hätten. Nachdem wir keinen Ersatzreifen haben - oder zumindest keinen mit genügend Luft drin - beginnen sie, über unsere schwierige Lage zu fachsimpeln. Leider verstehe ich kein Wort von dem, was sie sagen. Das ist ungefähr so, wie wenn ein Mexikaner, der in der Schule Deutsch gelernt hat, nach Bayern kommt. Der versteht auch nicht viel.
Die Damen gesellen sich auch wieder zu uns und werden schließlich in einen anderen vorbeifahrenden Pickup umgeladen. Nun stehen wir nur noch mit drei Männern in der Prärie, die immer noch auf Mexikanisch überlegen, was sie jetzt tun sollen. Unsere Helfer vergewissern sich nochmals, ob wir tatsächlich nicht doch noch irgendwo einen anderen Reifen haben. Dann machen sie uns den Vorschlag, uns mit zurück nach San Ignacio zu nehmen. Da können wir einen neuen Reifen kaufen. Anschließend wollen sie uns wieder herbringen. In dem anderen Ort gibt es angeblich keinen Reifenhändler. Wir nehmen das Angebot dankbar und erleichtert an. Ich darf vorne neben dem Fahrer Platz nehmen, Manfred darf mexikanisch fahren, d . h. auf der Ladefläche.
Teil V - Einmal San Ignacio und zurück
Und los geht die wilde Fahrt zurück über 45 km (28 Meilen) Rüttelpiste nach San Ignacio. Mit der Aussicht auf Hilfe gefällt mir auch die Landschaft wieder besser. Ich beginne, das ganze als typisch mexikanisches Abenteuer zu betrachten. Ich habe mir während der Warterei schon ständig vorgestellt, wie wir zu Hause Freunden von diesem kleinen Abenteuer berichten würden. Manfred schmort hinten unter der sengenden mexikanischen Hitze und holt und sich trotz Hut einen gewaltigen Sonnenbrand. Verständlicherweise sieht er das ganze nicht so gelassen.
In San Ignacio fahren uns die drei Herren gleich vor einer llantera (Reifenhandlung) vor. Dort wird auch die defekte Felge fachkundig repariert. Eine neue Felge ist gerade nicht da. Also wird die defekte Felge aufgezogen und mit einigen gezielten Hammerschlägen wieder instand gesetzt. Manfred meint noch: „Bei uns würde der angezeigt“. Egal. Hauptsache, die Kiste fährt wieder!
Teil VI - Reifenpanne Nr. 2
Der ältere unserer drei Helfer bleibt im Ort und die wilde Fahrt geht wieder los. Nach wenigen Minuten bangen wir bereits um das Auto unserer Helfer. Bei einem äußerst gewagten Ausweichmanöver mit einem entgegenkommenden LKW sehe ich unseren Pickup schon in einem Hang aus Lavagestein stecken bleiben. Auf so einer Piste fährt keiner freiwillig auch nur einen Meter zurück. Aber irgendwie kommen die beiden dann doch noch aneinander vorbei. Und die Rüttelei geht weiter. Der Fahrer legt ein ziemliches Tempo vor. Schließlich hat er ja ein pistentaugliches Fahrzeug und nicht so einen traurigen Gringo-Schlitten wie wir, mit dem man hier gar nicht fahren dürfte.
Nur müssen wir alle 20 Minuten anhalten, um Wasser nachzufüllen. Deshalb wundert es uns auch nicht, als wir mal wieder anhalten. Nur ist diesmal nicht das fehlende Kühlwasser der Anlass, sondern ein platter Reifen. Zum Glück sind unsere einheimischen Helfer besser ausgerüstet als wir und haben mehrere Ersatzreifen dabei, die natürlich alle genügend Luft haben. Und so können wir einen Reifenwechsel auf mexikanisch miterleben – mit vollem Körpereinsatz. Das ganze findet natürlich unter fachkundiger Aufsicht statt... (Bild unten rechts)
Teil VI - Ende gut - alles gut
Stunden später kommen wir endlich zu unserem Auto zurück. Unsere Exkursion ist bestimmt schon lange wieder zurück. Und ich kann an diesem Tag zum dritten Mal einen Reifenwechsel beobachten. Der findet natürlich auch wieder unter fachkundiger Aufsicht statt...
Wir verabschieden uns von unseren Freunden und Helfern mit einem großzügigen Propina (Trinkgeld). Dann geht geht es endlich in den Endspurt der Piste. Der Lonely Planet schreibt in seiner damaligen Ausgabe, dass der zweite Teil der Piste in besserem Zustand sei als der erste. Das war ein paar Jahre vorher so. Als wir da unterwegs sind, nicht mehr. Es ist kaum zu glauben, aber der Zustand der Strecke wird noch schlechter. Schlaglöcher lösen sich mit ewig langen Waschbrettpisten ab. Die sind Manfreds Spezialität und haben uns in Australien schon so manchen Nerv gekostet. Und da hatten wir keine Reifenpannen. Die Anspannung der letzten Stunden ist nicht ganz spurlos an uns vorübergegangen und macht sich nun auf den letzten 15 km (8 Meilen) unserer Irrfahrt bemerkbar. Aber wir haben bei der Ankunft am Ziel noch (oder wieder?) miteinander geredet.
Wenige Tage später wird die Piste in Stand gesetzt. Ende Februar 2001 war die Strecke relativ gut befahrbar. Über den aktuellen Zustand können wir leider keine Auskunft geben. Wenn Sie lieber kein Risiko eingehen wollen, können Sie die Anfahrt ab San Ignacio auch organisiert machen. Die Fahrt lohnt sich auf jeden Fall. Denn am Ende der 59,5 km (37 Meilen) erwarten Sie die unumstrittenen Stars der Baja California - las ballenas grises - die Giganten der Meere - Grauwale.
Weitere Storys über Autopannen finden Sie in unseren Reiseberichten Abenteuer USA 2010 oder Abenteuer USA 2012.